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Hamburg, Carl von Ossietzky

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August 2013

Geraubte Rarität im Seidenkleid

La Motte, Jeanne de Saint-Rémy de Valois de: Mémoires Justificatifs, Londres 1789.

Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Projekt NS-Raubgut, Signatur Teg A/300

Expo des Monats (August)
Expo des Monats (August)

In gelbe Seide mit Blumenmuster gebundener erster Teil der wahrscheinlich im englischen Exil veröffentlichten Memoiren der Jeanne de Saint-Rémy de Valois de La Motte (1756–1791), der mutmaßlichen Drahtzieherin der sogenannten „Halsbandaffäre“ am französischen Hof.

Gemeinsam mit ihrem Mann, dem verarmten Landadeligen Marc Antoine Nicolas de La Motte, nutzte Jeanne de Saint-Rémy ihre Kontakte zum französischen Hof und verwickelte u.a. den Kardinal Louis René Édouard de Rohan in abenteuerliche Betrügereien. Durch gefälschte Briefe, die angeblich von Königin Marie Antoinette stammten, animierte sie den Kardinal zum Kauf eines wertvollen Diamantencolliers, das dieser dann ihr als einer vermeintlichen Vertrauten der Königin übergab. Der Betrug wurde jedoch entdeckt, Jeanne wurde als Diebin gebrandmarkt und floh nach kurzer Haft aus der Salpêtrière in Paris nach London, wo sie ihre Memoiren und eine Autobiographie verfasste. Am 23. August 1791 starb sie an den Folgen eines Fluchtversuchs vor der englischen Polizei.

Auf den verschiedensten Wegen gelangten vor allem in der Zeit von 1933 bis 1945 Bücher von Verfolgten des Naziregimes in die SUB Hamburg. Neben lokalen ‚Zulieferern‘ wie der Gestapo Hamburg oder dem Gerichtsvollzieheramt spielte dabei insbesondere nach der Zerstörung und den immensen Bestandsverlusten 1943 die Reichstauschstelle Berlin, die ab 1943 eine eigene Abteilung für den „Wiederaufbau“ der kriegsgeschädigten wissenschaftlichen Bibliotheken des Deutschen Reiches eingerichtet hatte, mit ihren Zuweisungen und Angeboten eine besondere Rolle. So wurde der SUB Hamburg u.a. am 1. Juni 1944 der ‚Ankauf‘ des überwiegend französisch- und englischsprachigen Teils der 1938 im damals sudetendeutschen Aussig beschlagnahmten Bibliothek des jüdischen Industriellen Ignaz Petschek und seiner Frau Helene angeboten.

Familie Petschek
hinten: Ernst Petschek, Karl Petschek, Helene (geb. Bloch) und Ignaz Petschek, Janina (geb. Barzinsky) und Franz Petschek; vorn: Vera Caro, Karl I. Petschek, Anneliese, Thea und Peter Petschek, Josefa Petschek (geb. de May), Wilhelm Petschek mit Max Petschek

Die Familie Petschek

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hielten Ignaz Petschek und seine Brüder als überaus erfolgreiche Unternehmer große Anteile an Werken und Bergbaugesellschaften in Nordböhmen, Mitteldeutschland und in der Niederlausitz. Die Petscheks spielten jedoch nicht nur im Bereich der Wirtschaft eine wichtige Rolle, sondern engagierten sich auch im kulturellen und sozialen Bereich. So galt insbesondere Ignaz Petschek als überaus großzügiger und angesehener Förderer der jüdischen Gemeinde, der als Musikliebhaber und Mäzen u.a. Konzerte in Aussig organisierte und verschiedene Künstler unterstützte, aber auch diverse soziale und medizinische Einrichtungen finanzierte.

Nach dem Tod von Ignaz (1934) führten seine Söhne die Unternehmen weiter. Unter dem Eindruck der wachsenden Repressalien und der offenen Hetze gegen jüdische Bürger auch in der Tschechoslowakei sahen sich Helene Petschek und ihre Söhne jedoch im Sommer 1938 dazu gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Sie emigrierten über die Schweiz, England, Kanada und Kuba schließlich in die USA.

Unmittelbar nach der Besetzung Aussigs sowie des dortigen Hauptsitzes des Petschek-Konzerns begann die Berliner Finanzverwaltung im Oktober 1938 damit, den enteigneten Besitz der Familie Petschek zu ‚verwerten’. Ein Großteil des Unternehmensbesitzes wurde im Dezember 1939 dem Besitz der Reichswerke „Hermann Göring“ zugeschlagen, ein kleinerer Teil dem Flick-Konzern. Das Privatvermögen der Petscheks pfändete das zuständige Finanzamt Moabit-West, um eine angebliche und schließlich bis auf 300 Mio RM hochgeschraubte Steuerschuld zu begleichen.

Der lange Weg der Bücher

Expo des Monats (August)

Auch die umfangreiche Privatbibliothek von Ignaz und Helene Petschek sollte zugunsten des Reiches versteigert werden. Zu diesem Zweck wurden die Bücher zusammen mit den anderen Mobilien nach Berlin gebracht und dort zunächst geschätzt. Ein Teil der Bücher wurde anschließend als ‚sudetendeutsches Kulturgut’ u.a. von der Aussiger Stadtbibliothek erworben, die übrigen deutschsprachigen Bücher der Bibliothek Petschek sowie der Rest der Mobilien wurden im März 1942 direkt in der Villa Petschek in Berlin-Dahlem versteigert.

Der englisch-französische Teil der Bibliothek, der nicht öffentlich versteigert werden durfte, wurde im Oktober 1943 von der RTS übernommen und bearbeitet; im Juni 1944 erging das eingangs zitierte Angebot an die SUB Hamburg.

Wie Interims-Direktor Heinrich Reincke auf dem Angebotsschreiben vermerkte, war die Erwerbung „im Ganzen! sehr erwünscht“.

Expo des Monats (August)

Wegen der andauernden Bombardierungen Hamburgs und Berlins wurden die Erwerbungen von der Reichstauschstelle jedoch zunächst in vermeintlich sicheren ‚Depots‘ vor allem im Osten Deutschlands zwischengelagert und gelangten z.T. erst lange nach Kriegsende tatsächlich nach Hamburg.

So auch die Bücher der Bibliothek Petschek - unter ihnen dieses liebevoll in gelbe Seide gebundene Bändchen, vermutlich eine Erstausgabe der im englischen Exil veröffentlichten Memoiren der Jeanne de Saint-Rémy de Valois de La Motte.

Von den ursprünglich ca. 800 Bänden, die von der RTS angeboten worden waren, konnten bei den Recherchen im Bestand der SUB bisher 420 Bände als eindeutig zur Bibliothek Petschek gehörend ermittelt werden.

Die Identifikation der Bücher erfolgte in den meisten Fällen über das charakteristische Burg-Schreckenstein-Exlibris, das der bekannte Wiener Kupferstecher und Grafiker Alfred Cossmann im Jahr 1929 für Ignaz und Helene Petschek erstellt hatte.

Expo des Monats (August)
Expo des Monats (August)

Als weiteres Identifikationsmerkmal diente die in fast allen Bänden mit Bleistift auf dem Vorsatzblatt eingetragene Reichstauschstellen-Nummer, die auch auf den Bestellzetteln vermerkt worden war.

Am 17. Juli 2013 konnten die Bücher nun einer Urenkelin von Ignaz und Helene Petschek, die als Vertreterin der Familie aus den USA angereist war, offiziell zurückgegeben werden (siehe hierzu auch den Blogeintrag vom 18. Juli 2013).

NS-Raubgut in der Stabi

Expo des Monats (August)

1999 haben sich Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände in einer gemeinsamen Erklärungdas Ziel gesetzt, noch im Besitz öffentlicher Einrichtungen befindliches NS-Raubgut zu ermitteln und an die rechtmäßigen Eigentümer bzw. deren Erben zurückzugeben. Die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky hat sich dieser Erklärung angeschlossen und sucht seit 2006 aktiv in ihren Beständen nach NS-Raubgut (mehr Informationen). In mehreren Fällen haben Bücher inzwischen den Weg zu den rechtmäßigen Eigentümern (zurück-)gefunden.

Ulrike Preuss

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