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Hamburg, Carl von Ossietzky

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Kostbares Lektionar aus dem Mittelalter

Lektionar (Fragment), illuminierte Bilderhandschrift, Mittelrhein um 1250/60

Pergamenthandschrift mit Einband des 20. Jahrhunderts – 25 Bl. – 51,5 x 35 cm
Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky, Cod. in scrin. 1

Das mit drei ganzseitigen und einer spaltenbreiten Miniatur sowie neun Initialen reich ausgestattete Fragment eines Lektionars für den Gebrauch des Zisterzienserordens ist wie so viele andere Handschriften unserer Sammlung auch über die Bibliothek des Frankfurter Ratsherrn Zacharias Konrad von Uffenbach (1684-1734) in die Hamburger Bibliothek gekommen. Uffenbach hatte die Blätter 1718 auf der Frankfurter Buchmesse erworben. Heute sind die Bögen und Blätter wie eine vollständige Handschrift zusammengebunden.

Selbst als Fragment gehört der Codex zu den besten Erzeugnissen des sog. ‚Zackenstils’, genauer zu dessen ‚rheinischer Variante’ (Swarzenski). Verbindendes Stilmerkmal dieser Handschriftengruppe ist die auffällige Darstellung der Gewandfalten: diese sind stark konturiert und oft unlogisch dargestellt. In der hier gezeigten Auferstehungsszene sind die Ärmel von Christi Obergewand mit Spitzen versehen, die in zwei gegenläufige Richtungen weisen.

Expo des Monats (April)

Die Bildinitiale zum Osterfest zeigt Christus, der am Ostermorgen dem Grab entsteigt. Geschickt hat der Miniator die Graphie des Initialbuchstaben „M“ – zu „M“agnum et mirabile donum – verändert und das „M“ so gestaltet, dass der linke Teil des Buchstabens wie ein „O“ erscheint, dessen rechte Rundung zugleich die mittlere Haste des „M“ darstellt, an die sich, schmal gehalten, die rechte Haste anschließt. Dieser Kunstgriff war nötig, da nur auf diese Weise ein genügend großer Raum für die szenische Darstellung gewonnen werden konnte. Die Initiale beherrscht von ihrer Größe her nicht etwa die gesamte Seite. Der Buchstabe ist zusammen mit anderen Zierelementen in einen hochrechteckigen Kasten eingestellt, der in vier Kompartimente untergliedert ist. Zuunterst – auf dem obigen Bildausschnitt nicht zu sehen – wird das durch den Initialbuchstaben begonnene Wort fortgesetzt: „M“agnum. Selbst wieder durch gelbe Leisten abgesetzt, verlaufen über und unter dem Bildfeld Bänder mit feinen Goldlinienornamenten, die auf den ersten Blick wie fremdländische Buchstaben anmuten – es sind kufische Ornamente, also arabische Schriftzeichen, die als Ornamentzier in zahlreichen abendländischen Kunstwerken verwendet wurden.

Die künstlerische Qualität der Osterminiatur, aber auch der drei anderen blattgroßen Miniaturen – sie illustrieren die kirchlichen Hauptfeste Weihnachten, Aufnahme Mariens in den Himmel und Pfingsten – ist überragend, der Erhaltungszustand bewundernswert. Der Buch-maler gehört ohne Frage in die erste Kategorie der Künstler seiner Zeit. Wie so oft bei mittelalterlicher Kunst kann jedoch über seine Person und auch über das ausführende Atelier nur wenig gesagt werden. An keiner Stelle des Manuskripts wird der Namen des Malers preisgegeben, und so ist man bei der kunsthistorischen Zuweisung des Lektionarfragments an eine Malerwerkstatt auf Vergleiche angewiesen.

Expo des Monats (April)

Das Hamburger Fragment steht stilistisch in direktem Zusammenhang mit dem „Goldenen Mainzer Evangeliar“ (jetzt Hs. 13 der Hofbibliothek Aschaffenburg). Die Evangeliarhandschrift ist vollständig erhalten und kein Fragment. Beide Codices, die etwa in einem Abstand von zehn Jahren entstanden, stammen aus demselben Buchmalerei-Atelier, das vielleicht in Mainz zu lokalisieren ist, und zudem noch von demselben Maler.

Die früheste kunsthistorisch-stilistische Einordnung der beiden Handschriften formulierte Hanns Swarzenski (1903-1985). Zum Aschaffenburger Evangeliar und dessen Herkunftsort Mainz, von wo sonst nicht gerade zahlreiche Handschriften erhalten sind, führt er aus:

„Umso erstaunlicher und rätselhafter muß es erscheinen, daß aus Mainz der Codex stammt, der nicht allein dem künstl(er)ischen Anspruch nach, sondern auch in der Höhe des rein handwerklichen Könnens und in der Größe der Formgestaltung das vielleicht bedeutendste Werk der deutschen Malerei des XIII. Jahrhunderts und überhaupt eines der glanzvollsten Schöpfungen der Buchmalerei des Mittelalters darstellt: Es ist das ganz in Gold geschriebene Evangelienbuch in der Schloßbibliothek zu Aschaffenburg.“ (Swarzenski, a.a.O., S. 25). Zum Hamburger Fragment sagt er:
„Überhaupt blieb ein Suchen nach verwandten Handschriften … ergebnislos. Nur in Hamburg hat sich aus der Bibliothek des Frankfurter Zacharias Conrad von Uffenbach das Fragment eines großangelegten Breviars erhalten, dessen vier Miniaturen …. zweifellos von dem Maler des Aschaffenburger Evangeliars selbst ausgeführt sind. … Der Figurenstil ist noch großartiger als im Evangeliar, die Gewandmodellierung weniger kleinteilig und die Farbgebung entsprechend ruhiger.“ (Swarzenski, a.a.O., S. 29).

Die hier nicht ausgestellte vierte Zierseite mit einer Dedikationsszene gehört als Eröffnungsminiatur zu den Lesungen zum Pfingstfest. Hier sind – offenbar ursprünglich anders gestaltet und später verändert – eine Zisterzienserin und ein Zisterziensermönch dargestellt. Nimmt man nun an, dass die Miniatur die Beziehung des Frauenklosters zu dem ihr übergeordneten Männerkloster ins Bild setzen will, und nimmt man weiter an, dass die ausübende Werkstatt eine Laienwerkstatt war, so macht die deutliche Betonung der Zisterzienser Sinn. So wird aufmerksam gemacht auf das für uns heute verborgen bleibende bestellende Frauenkloster und jenes Kloster, das in der Mitte des 13. Jahrhunderts die  Vaterabtei für alle rheinischen Zisterzen war: Kloster Eberbach im Rheingau.

Hans-Walter Stork

Expo des Monats (April)

Literatur

  • Hanns SWARZENSKI: Die lateinischen illuminierten Handschriften des XIII. Jahrhunderts in den Ländern an Rhein, Maas und Donau. Text- und Tafelband. Berlin 1936.
  • Tilo BRANDIS: Die Codices in scrinio der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg 1-110. Hamburg 1972, S. 23f.
  • Harald WOLTER-VON DEM KNESEBECK: Das Mainzer Evangeliar. Kommentar zur Faksimile-Edition der Handschrift Ms. 13 der Hofbibliothek Aschaffenburg. Faksimile Verlag Luzern. Regensburg 2007.
  • Hans-Walter STORK: Ein Zisterzienserlektionar in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg als Schwesterhandschrift des Mainzer Evangeliars. In: Gutenberg-Jahrbuch 83, 2008, S. 37-51.

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