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Hamburg, Carl von Ossietzky

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März 2013

"Christi Wunder-Wercke" – Ein Oratorium von Johann Mattheson

Johann Mattheson: Christi Wunder-Wercke bey den Schwachgläubigen.
Oratorio auf d. 5. post Trinit. Eigenhändige Partitur, Hamburg 1719, 32 Bll.

Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky, Musiksammlung, Signatur ND VI 136

Johann Mattheson (1681–1764) war von 1718 bis 1728 Kantor am politisch damals nicht zu Hamburg gehörenden Dom. Neben dem für die hamburgischen Haupt- und Nebenkirchen verantwortlichen städtischen Kantor (bis 1721 war dies Joachim Gerstenbüttel, ab 1721 Georg Philipp Telemann) hatte der Domkantor somit eine Sonderstellung inne. Der Hamburger Rat war ihm gegenüber nicht weisungsbefugt, was dazu führte, daß der Domkantor größere künstlerische und organisatorische Freiheiten hatte (z.B.: bei der Zusammenstellung seiner Musiker) als der städtische Kantor. Auch war das dem Domkantor vorstehende Domkapitel (seit 1719 dem Kurfürsten von Hannover unterstellt), dem auswärtige Adlige und einflußreiche Hamburger Persönlichkeiten angehörten, in theologischen und musikalischen Fragen moderner eingestellt als das für die Hamburger Kirchen zuständige Geistliche Ministerium. Die Dommusiken fanden zu Matthesons Zeiten nur noch an bis zu sechs Terminen im Jahr statt (vor allem an den hohen Kirchenfesten). Somit kam den dafür geschaffenen Werken – von Mattheson meist als Oratorien bezeichnet – ein gewisser Seltenheitswert zu im Vergleich mit den im Wochenrhythmus zu hörenden Kirchenkantaten des städtischen Kantors.

Mattheson

Das für den 5. Sonntag nach Trinitatis (9. Juli 1719) bestimmte Oratorium Christi Wunder-Wercke bey den Schwachgläubigen beruht auf einem Text des Hamburger Juristen Georg Jacob Hoefft (1686–1719). Als Dichter war Hoefft 1715 der von Barthold Heinrich Brockes gegründeten Hamburger „Teutschübenden Gesellschaft“ beigetreten und tat sich vor allem durch Gelegenheitsdichtungen hervor, abgedruckt unter anderem in der mehrteiligen Sammlung Poesie der Niedersachsen (Hamburg 1721–1738). Hoeffts Textdichtung liegt das für diesen Sonntag als Predigttext vorgesehene Evangelium zugrunde, die Erzählung vom großen Fischfang des Simon Petrus am See Genezareth (Lukas 5, 1–11). Deren Kernaussage – die Berufung aller Menschen, an Gott zu glauben und auch andere Menschen zum Glauben zu bringen – wird im Oratorientext exegetisch ausgeweitet auf die Themen Gottvertrauen, Zuversicht und Glaube an Gott in der Not, wobei Dichter und Komponist sich dramatischer Gestaltungsmittel bedienten wie etwa der Einführung von redenden Personen (Jesus, Simon Petrus, Die göttliche Vorsehung, Das Vertrauen, Der Glaube).

Expo des Monats (März)

Mattheson selbst vermerkte in seiner Partitur die Namen der mitwirkenden Sänger, die wie meist bei den Dommusiken fast alle zum Ensemble der Hamburger Gänsemarkt-Oper gehörten: Der Bassist Conrad Arnoldi (Jesus), der Baritonist Mr. Grünewald (Die göttliche Vorsehung), der Tenorist Johann Heinrich Möhring (Simon Petrus), der Altkastrat Antonio Campioli (Der Glaube) sowie die beiden Sopranistinnen Margaretha Susanna Kayser (Das Vertrauen) und Mademoiselle Endradi (Die Erhörung). Bei Campioli ist vermerkt, daß er aufgrund von Heiserkeit von „Mr. Westenholt“ vertreten worden sei, womit der Bassist Ernst Carl Ludwig Westenholz gemeint ist, der die Alt-Partie somit als Falsettist gesungen haben dürfte. Wie damals üblich haben die sechs Sänger auch die Chöre ausgeführt, was sich an der für Hamburger Verhältnisse nicht ungewöhnlichen Verstärkung der Außenstimmen (Sopran und Baß mit je zwei Sängern) erkennen läßt.

Im Zentrum des Werkes steht der Chorsatz „Der Herr hat Großes an uns getan, des sind wir fröhlich“ (Psalm 126, 3), den Mattheson mit „Contrapunto di quattro Soggetti“ (Fuge mit vier Themen) überschrieben hat (s. Abbildung). Dieser in kontrapunktischer Hinsicht recht aufwendig gestaltete Satz kombiniert vier melodische Motive in wechselnden Zuordnungen zueinander, wobei maximal nur drei Themen gleichzeitig erklingen. Solche in Matthesons Partituren des öfteren auftauchenden kontrapunktischen Kunststücke studierte noch rund 130 Jahre später (um 1855) der damals junge Johannes Brahms bei seinen Besuchen der Hamburger Stadtbibliothek, wo er sich von einem als „Fuga in Consequenza“ beziehungsweise „Canon perpetuus in Hypodiapente“ bezeichneten Chorsatz aus Matthesons eigenhändiger Partitur des Passions-Oratoriums Das Lied des Lammes eine Abschrift anfertigte und dazu notierte: „Handschriftlich in der Hamburger Stadt-Bibliothek“. Die Abschrift befindet sich heute im Brahms-Nachlaß des Archivs der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Signatur: A 130, fol. 38r.

Vorwiegend mit kontrapunktischen Mitteln gestaltet sind im Oratorium <i>Christi Wunder-Wercke</i> darüber hinaus auch die einleitende Sinfonia sowie der Choral „Was mein Gott will, das gescheh‘ allzeit“, wohingegen in den übrigen Sätzen eine stark melodiebetonte und vom Sprachduktus geleitete Kompositionstechnik vorherrscht, entsprechend dem damaligen modernen Zeitgeschmack. Wie meist in seinen Werken sorgte Mattheson auch diesmal für klangliche Abwechslung und interessante Besetzungen: so etwa durch zwei Waldhörner (Cornette da caccia), Instrumentalsoli für Oboe und Violoncello, Streicherunisoni und ein mit drei Oboen instrumentiertes Trio für die beiden Soprane und den Alt.

Mattheson stiftete die rund 40 eigenhändigen Partituren seiner Opern- und Oratorien 1764 der Hamburger Stadtbibliothek (heute: Staats- und Universitätsbibliothek). Abgesehen von vereinzelten Interessierten (s. oben: Johannes Brahms) wurden sie erst kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs von dem amerikanischen Musikforscher Beekman C. Cannon wieder in den Blick genommen, waren dann aber ab 1943 mit der kriegsbedingten Verlagerung der Handschriftenbestände der Staatsbibliothek für mehr als 50 Jahre der Forschung wieder entzogen (die Odyssee führte die Bände über Sachsen nach Rußland und von dort nach Armenien, von wo sie 1998 nach Hamburg zurückkehren konnten).
Das nach Matthesons Tod nicht mehr aufgeführte Oratorium Christi Wunder-Wercke bey den Schwachgläubigen wird zusammen mit Matthesons ebenfalls noch nicht wieder aufgeführter Hochzeits-Serenata Der verlohrene und wiedergefundene Amor sowie sechs lateinischen Vokalduetten Georg Philipp Telemanns für das Altonaer Christianeum am 25. und 26. März 2013 im Lichthof der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg durch das Ensemble barockwerk hamburg erstmals wieder zu Gehör gebracht werden.

Jürgen Neubacher

Literatur

  • Beekman C. Cannon: Johann Mattheson. Spectator in Music. New Haven/London 1947 (= Yale Studies in the History of Music,1).
  • Joachim Kremer: Das norddeutsche Kantorat im 18. Jahrhundert. Untersuchungen am Beispiel Hamburgs. Kassel 1995 (= Kieler Schriften zur Musikwissenschaft, 43), S. 97–107.
  • Jürgen Neubacher: Brahms als Benutzer der Hamburger Stadtbibliothek. In: Internationaler Brahms-Kongreß Gmunden 1997. Kongreßbericht. Hrsg. von Ingrid Fuchs. Tutzing 2001, S. 423–436.

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