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Richard Dehmel – „WRWlt“ – Zwei Menschen

Richard Dehmel, Zwei Menschen. Roman in Romanzen. Berlin 1903. Widmungsexemplar für Ida Dehmel und Entwürfe Richard Dehmels aus dem Nachlass.

Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Nachlässe, Dehmel-Archiv, Signaturen: NL DA Bib : 2000 und DA : Varia 10. Komplett digitalisiert.

Expo des Monats (Dezember)

Wer einmal das Streichsextett „Verklärte Nacht“ von Arnold Schönberg gehört hat, wird sich vielleicht schon gefragt haben, wer denn dieser Dichter Richard Dehmel (1863-1920) war, dessen Text Schönberg rein instrumental „vertonte“. Die in Musik gesetzten Verse aus „Weib und Welt“ finden sich einige Zeit später wieder als Anfang von Dehmels erzählerischem und seiner Frau Ida gewidmetem Hauptwerk „Zwei Menschen“, eines „Romans in Romanzen“, erschienen 1903. Anhand von „Zwei Menschen“ lässt sich beispielhaft und in Ausschnitten skizzieren, dass Richard Dehmel wie kaum ein anderer Autor auch Einfluss nahm auf die Gestaltung von Schriftart, Satzspiegel, Illustrationen, auf Druck und Einband seiner Werke. Umfangreiche Briefwechsel mit Typographen, Druckern, Verlegern und Buchbindern zeugen davon, wie klar Dehmels Vorstellungen vom Äußeren seiner Werke waren.

Am Ende des Buches findet sich die Bemerkung: „ Das Buch ist bei Herrosé & Ziemsen in Wittenberg gedruckt, in der Type von Peter Behrens, mit einem vom Dichter gezeichneten Frontispiz (…)“ – die Auseinandersetzung mit der Druckerei um die korrekte Herstellung dieses Titelemblems mag dabei bereits ein erstes Licht auf das „Gesamtkunstwerk Dehmel“ werfen.

Expo des Monats (Dezember)

So schreibt Dehmel an die Druckerei Herrosé & Ziemsen am 18.12.1902: „Verehrliche Druckerei! Es freut mich, daß Sie auch die Einbände übernehmen können. […] Bezüglich der Gravurpressung auf Deckel u. Rücken haben Sie richtig vermutet. Ich möchte goldenen Unterdruck (flach) und dann erst den Stempel mit brauner Farbe draufgepreßt. Das Gold soll aber den blauen Fonds nicht völlig decken, sondern nur mit Puderquaste aufgetragen werden, sodaß das Blau (besonders in der Mitte des Deckelstempels) deutlich durch die Goldstäubung durchscheint. Auch der braune Schnitt darf nicht zu aufdringlich mit Gold gewölkt werden; nur hin und wieder etwas stärker gepudert. Ein Muster kann ich Ihnen für diese Vergoldungsart nicht schicken; sie ist aber ausführbar, ich habe sie in einem chinesischen Bilderbuch vom Ende des 18. Jahrh. gesehen. Natürlich ist echtes Gold zu nehmen, und zwar rein gelbes, nicht etwa rötliches. […] Um Irrtümern vorzubeugen: Auf dem Titelblatt des Mscriptes steht vermerkt, daß von dem Cliché die Randlinie abzuschneiden ist. Dies gilt natürlich nur für das Cliché des Titelblatts, also nicht etwa auch für den Messingstempel des Deckels. Auf dem Deckel soll die Randlinie bleiben. […] In der Hoffnung auf eine Musterleistung hochachtungsvoll R. Dehmel.“

Expo des Monats (Dezember)

Die „Musterleistung“ schien jedoch nicht den Wünschen des Meisters entsprochen zu haben, denn Dehmel wendet sich erneut an die Druckerei am 12.01.1903: „Nein, der Einband ist durchaus nicht ‚nach meinen Vorschriften ausgeführt‘, kann also auch nicht meinen Beifall finden. Sie scheinen sich nicht die Mühe genommen zu haben, meinen Brief vom 18. v. M: genau durchzulesen; sonst hätten Sie z. B. den Stempel nicht grade umgekehrt ausführen lassen wie ich es vorgeschrieben hatte. Ich hatte Ihnen geschrieben, Sie möchten die ganze Fläche des Stempels erst mit Gold einstäuben lassen und dann die Gravur mit Braun draufdrucken; statt dessen haben Sie erst mit Braun gedruckt und dann blos das Braun mit Gold überstäubt. Es sollen grade die jetzt blauen Partieen der Stempelfläche (also Herz, Blatt, Feder, Spirallinien) leichte Goldstäubung tragen, sodaß der blaue Grund noch durchscheint; und die jetzt goldnen sollen braun werden, und durch das Braun darf der drunter liegende Goldstaub leis durchschimmern. Das Gold soll also nur wie ein Hauch aus dem Braun und Blau herausflimmern. […] Ich bitte Sie also, mir unter genauer Berücksichtigung dieser Winke nochmals so bald wie möglich einen Probeband herzustellen.“ Dass letztendlich doch ein Ergebnis erzielt wurde, mit dem alle Seiten zufrieden waren, zeigt ein Brief des Typographen Peter Behrens an Dehmel vom 12.04.1903: „Es ist wirklich das tiefste Buch, das wir bis heute haben. Nun finde ich aber auch daß es vortrefflich aussieht. Es ist auch das am anständigsten ausgestattete Buch das ich kenne. Die Farben sind herrlich und nicht zum Schlechtesten gefällt mir das Signum auf dem Deckel.“

Das „Signum auf dem Deckel“ ist – wie in den Briefen an die Druckerei angedeutet – auch auf dem Titelblatt zu sehen, jedoch ohne die Umrandung.

Ein Entwurf dieses Titelblattes hat sich im Nachlass erhalten:

Expo des Monats (Dezember)

Besondere Beachtung verdient die Zeichnung selbst, deren zunächst kryptische Buchstabenfolge in folgender Skizze erläutert wird:

„Wir Welt“ also – oder ohne Vokale „WRWlt“: der „Urakkord“, wie es auf Seite 149 heißt:

Expo des Monats (Dezember)

„Es tönt aus der Brandung wie Geraun – Horch –raunt der Mann – das Zauberwort:
Ja, es hieß wohl: WIR Welt! Nicht Schein! nicht Traum!
horch, wie’s wirbelt: WRWlt – o Urakkord!
WRWlt murmeln die Ströme, die großen,
wenn sie zusammenkommen im Meere!
WRWlt jubeln die Sternenchöre,
WRWlt die Stürme im Uferlosen!
WRWlt stammelten die Menschen, als sie noch reine Tiere waren:
stammelten’s wieder, alle wieder, die als reine Götter sich paaren,
rein wie Wellen mit Mondlichtschleiern
spielend ihre Freiheit feiern,
die Freiheit, die voll Eintracht spricht:
o gieb uns, Welt, Dein Gleichgewicht!
Es tönt aus der Brandung wie Gesang
um ein Menschenpaar im Überschwang."

Expo des Monats (Dezember)

Die Zeichnung an sich durchläuft, bis sie ihre endgültige Form findet, verschiedene Entwurfsstadien, die zuweilen übergehen in andere, damit verwandte Entwürfe. Eine mögliche Rekonstruktion einer Reihenfolge könnte mit einem Bleistiftentwurf „Dedicavit Dehmel“ mit Herz, Feder und Kerzen beginnen, wobei die Verbindung zwischen Feder und Kerzen aus dem Kosenamen „Isi“ (für Ida) gewonnen wurde:

Dehmel Skizze

Die Rückseite des Blattes zeigt außerdem Entwürfe für ein Briefmonogramm für Ida Dehmel, das sich auch auf ihrem Briefpapier so finden wird:

Skizze Dehmel

Die folgende Ausführung in Tinte zeigt deutlich, dass das Herz in diesem Stadium noch nicht von Wellen (oder wie es Dehmel nennt „concentrischen Linien“ bzw. „Spirallinien“) umgeben wird:

Skizze Dehmel

Jedoch bereits innerhalb des nächsten, diesmal ohne Umrandung ausgeführten Bleistiftentwurfs sind diese Wellenlinien in der kleinen Tintenskizze links erstmals angedeutet:

Skizze Dehmel

Noch deutlicher sind die Linien im nächsten Bleistiftentwurf „Dedicavit Dehmel“ zu sehen, der auch den Titel „Zwei Menschen“ spielerisch aufnimmt:

Skizze Dehmel

Das noch fehlende beschriftete Blatt fügen schließlich die beiden folgenden Entwürfe in Bleistift und Tinte ein und tauschen es gegen die beiden Kerzen aus. Lediglich die Buchstabenfolge „WRWlt“ wird dann noch ergänzt werden:

Skizze Dehmel
Skizze Dehmel

Das Exemplar, das Dehmel schließlich seiner Frau schenkte, enthält noch eine gezeichnete Widmung „Meiner Einzigen“:

Widmung Dehmel

Das Besondere an diesem Exemplar ist jedoch auch der Ledereinband, den der Hamburger Buchbinder Wilhelm Rauch anfertigte:

Front Einband Dehmel

Der Entwurf dazu stammt wieder von Dehmel selbst:

Einband-Entwurf Dehmel

Und diesmal war Dehmel auch völlig mit dem Ergebnis zufrieden. Denn er schreibt am 05.06.1903 an Wilhelm Rauch: „Ich habe das Buch noch rechtzeitig in Blankenese erhalten und danke Ihnen verbindlichst für die außerordentlich schöne und sorgfältige Arbeit. Das Honorar folgt anbei durch Postanweisung. Bei Uebersendung der Quittung bitte ich meine Zeichnung des Deckelmusters mitzuschicken. Denn natürlich soll der Einband ein Unicum bleiben; Sie dürfen also mein Deckelmuster nicht etwa noch für andre Einbände verwenden.“ Ein Unicum für die Einzige.

Mark Emanuel Amtstätter