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Neues hamburgisches Addres-Buch auf das Jahr 1787

Hamburg, 1787. Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Signatur: Y/1710: 1787

Das erste Hamburger Adressbuch, das die Reihe der bis 1966 mit ganz wenigen Ausnahmen jährlich erschienenen Verzeichnisse eröffnete, war Johann Heinrich Hermanns (1750-1821) „Neues Hamburgisches Addres-Buch auf das Jahr 1787“. Der gelernte Kaufmann, Buchdrucker und Verleger war der dritte Gründer und Herausgeber eines Wirtschaftsadressbuchs innerhalb von fünf Jahren: vor ihm hatte der Buchhändler Johann Nicolaus Carl Buchenröder 1782 den ersten und einzigen Jahrgang des "Almanachs für Reisende" herausgebracht, der 750 Personen- und Firmennamen mit Straßenangabe unter dem Titel "Das Hamburgische Commercium oder vollständiges alphabetisches Verzeichnis aller Hamburgischen Kaufleute" und 83 Firmen unter "Commercium in Altona" auflistete; außerdem enthielt es eine "gemeinnützige Geschichte von Hamburg", eine Beschreibung Altonas einschließlich der Magistratsmitglieder und Geistlichen sowie ein Verzeichnis - in mehrere Gruppen unterteilt - der Hamburger Doktoren der Medizin und der Apotheker.

Gleichzeitig mit dem Almanach hatte 1782 der "Hamburger Kaufmannsalmanach" zu erscheinen begonnen, der beim Ratsbuchdrucker Gottlieb Friedrich Schniebes (1743-1818) jährlich bis 1789 gedruckt wurde; erhalten sind davon nur die Jahrgänge 1784-1787. Anfangs wurden 650, zuletzt über 1.200 Gewerbetreibende verzeichnet. Im Jahr 1787 - Hamburgs Einwohnerzahl überschritt gerade erstmals die 100.000 - trat dann zum Kaufmannsalmanach das "Neue hamburgische Addres-Buch auf das Jahr 1787" in Konkurrenz und blieb als einziges der drei Unternehmen auf lange Frist bestehen. Die Anfang des 18. Jahrhunderts erschienenen barocken Verzeichnisse „Hamburgum literatum“ (1698, 1701, 1704, 1716 und 1719), "Jetzt belebtes Hamburg" (1712) und "Jetzt-lebendes Hamburg" (1722, 1723, 1725) scheinen keine unmittelbare Vorbildwirkung gehabt zu haben, der seit 1726 jährlich publizierte „Staatskalender“ wiederum hat als reines Verzeichnis von Standespersonen und Amtsinhabern den Verleger Hermann nicht abgehalten, sein Personenverzeichnis parallel und mit klar abgegrenzten Zielsetzungen zu veröffentlichen.

Hermann bediente anfangs ganz eindeutig das offenbar in den 1780er Jahren stark gestiegene Bedürfnis nach stabiler, vom volatilen Anzeigenangebot der Zeitungen, Intelligenzblätter und –büros unabhängiger, überörtlich zugänglicher Adressinformation für den Wirtschaftsverkehr. (In den 1770er und 80er Jahren  hatten sich schon andere "geschäftstüchtige Verleger [...] mit eine[r] Vielzahl von meist kurzlebigen Zei-tungen und Zeitschriften [mit ...] aktuellen Wirtschaftsnachrichten, Schiffslisten, Kurstabellen und andere[n] Übersichten" versucht [Astrid Blome], daneben gab es etliche neue Publikationen, die verlässliche Orientierung über amtliche Bekanntmachungen, historische und aktuelle Gesetze und Verordnungen boten. Dieser ganze Komplex von Publikationen scheint in einem inhaltlichen und rezeptionsgeschichtlichen Zusammenhang zu stehen.)

Expo des Monats (September)

Betrachtet man zunächst die formale Gestaltung des Hamburger Adressbuches, kopierte Hermann mit der ersten Ausgabe 1787 exakt den Umfang und die Anordnung der Information des Kaufmannsalmanachs: Name, Straße des Kontors und Banco Conto wurden alphabetisch aufgelistet. 1788 fügte Hermann jeweils die Hauptprodukte oder -handelsgüter der Firma hinzu und ordnete alles jeweils auf einer Doppelseite an. 1789 rückte der gleichbleibende Inhalt satztechnisch einfacher auf einer Seite zusammen. Neu war jetzt erstmals ein eigener Teil für Altona, für den Hermann die Informationen von einem Freund, dem Buchhalter und dänischen "Translateur" Andreas Melbye aus der Grünenstraße bekam. 1790 wurden den Namen Abkürzungen der Kirchspiele und die Zugehörigkeit zu einer Kompanie der Bürgerwache hinzugefügt. 1791 hielten mit einem Abschnitt "Hiesige Sehenswürdigkeiten" explizit an Auswärtige gerichtete 'touristische' Informationen Einzug in das Adressbuch. (Beschrieben wurden u.a. das Rathaus, das Eimbeckische Haus, Börse, altes und neues Waisenhaus, Zuchthaus, Spinnhaus, Hospital, Pesthof, Schifferarmenhaus, Zeughäuser, Gasthäuser, Wasserkünste, Kirchen, Bibliotheken und Kunstsammlungen.) 1791 und 1792 erweiterte Hermann die verkehrsbezogenen Rubriken erheblich, u.a. um Verzeichnisse von Frachtfuhrleuten mit regelmäßigen Destinationen, Schiffsverbindungen, Post- und Reiserouten, Passagier-Ewern, die zwischen Harburg und Hamburg verkehrten, und die Hamburger Torschlusstabelle. (Im selben Jahr 1792 begründete er die "Wöchentlichen gemeinnützigen Nachrichten von und für Hamburg" als drittes Intelligenzblatt der Hansestadt, das sich mit ungewöhnlich reichhaltiger Lokalinformation an ein breiteres Publikum wandte und im Vormärz zur politischen Zeitung mutierte, der direkte Vorläufer der "Hamburger Nachrichten".) 1794 kamen Hinweise auf Herbergen, Gast- und Caféhäuser hinzu, als besondere Personengruppe die Hamburger Schriftsteller, nachdem früher schon die örtlichen Theater-Schauspieler einen eigenen Abschnitt erhalten hatten. Die inhaltliche Diversifizierung kam damit auch bald an eine Grenze. Eine Neuerung im Jahrgang 1799 hatte allerdings noch ganz zentrale Bedeutung: das "Verzeichnis der Gassen", das der Herausgeber selbst als einen "Versuch" bezeichnet, bei dem ihm als möglicher Mangel bewusst sei, "daß ich bey der Bearbeitung hauptsächlich auf die Besitzer der Häuser, nicht aber auf Logierende, Laden etc. Rücksicht genommen habe." Das Straßenverzeichnis war neben dem Personenverzeichnis von da an ein ständiger Bestandteil des Adressbuchs; dort waren die Angaben zur Person zwar relativ karg, die Zuordnung zu den Etagen der Häuser, den Höfen, Terrassen oder Nebengebäuden aber exakt.

Expo des Monats (September)

Die alljährliche Entstehung des Adressbuchs beschrieb der Verleger dergestalt, dass er jedes Jahr im Sommer "die ganze Stadt Haus für Haus zum kommenden Jahr befragen" lasse. Sodann brauche er zwei Monate zur Bearbeitung. Daneben bat er bei jeder gebotenen Gelegenheit um Meldungen von Interessierten; wenn man ihm etwas einreiche, entstehe damit aber, wie er immer wieder beteuerte, kein Kaufzwang. Die Aufnahme der Adressen geschah gratis. Grundsätzlich blieb es bei diesem Umfrageverfahren bis ins 20. Jahrhundert. Der Verlag bekam behördlicherseits zwar die Meldung der Bediensteten, ihrer Funktionen und Adressen für den amtlichen Teil, aber er konnte in Hamburg nicht wie in vielen anderen Städten auf Daten der Polizeibehörden und Meldeämter zurückgreifen, was umgekehrt dem Adressbuch auch keine expliziten Kontroll- und Überwachungsfunktionen eintrug. Gleichwohl war es den Polizeibehörden natürlich ein willkommenes, viel genutztes Hilfsmittel.1798 war das Unternehmen so weit etabliert, dass Johann Heinrich Hermann vom Senat das Privileg zur alleinigen Herausgabe eines hamburgischen Adressbuchs erhielt. Alle sechs Jahre musste es erneuert werden, was bis in die 1840er Jahre offenbar völlig geräuschlos erfolgte, später nicht immer unbestritten, zuletzt 1862. Das Adressbuch erschien zuverlässig jährlich im Dezember, außer im Jahr 1814, als aufgrund der Kriegswirren nur ein Supplement zu 1813 veröffentlicht werden konnte. 1822 brachte es 12.000 Adressen, 1834 bereits 17.000.

Expo des Monats (September)

Gegenüber dem zunächst kopierten "Kaufmannsalmanach" ging Hermann sogleich daran, im Sinne einer "gehörigen Vollständigkeit" die Beschränkung auf Kaufleute aufzuheben: "Ich habe bey gegenwärtigem Address-Buche auf alle Rücksicht genommen, sie mögen große oder kleine Handlung haben, so gar habe ich Brauers und Beckers mit angezeigt, weil ich überzeugt bin, das sie mit den größern Kaufmann in Handel kommen, und folglich auch einer Anzeige würdig sind," erklärte er im "Vorbericht" 1787. Alljährlich warb Hermann fortan mit den Qualitätskriterien Vollständigkeit, "Richtigkeit", Aktualität und Übersichtlichkeit um Eintragungen und Korrekturmeldungen. Um sozialständischer Kritik auszuweichen - der "immerwährende Vorwurf [...]: ich stehe zwischen Schneider und Schmidt" - und die Überschaubarkeit zu verbessern, experimentierte Hermann 1790 mit getrennten Alphabeten für "Graduirte, Kaufleute, Macklers, Schiffer und Handelnde" einerseits und Handwerker, Notare und Künstler andererseits. Er gab diese Unterteilung aber schnell wieder auf, da "ich bey mir überzeugt bin, daß bey diesem Buche keine Rang-Ordnung stattfindet" (1791). In diesem Sinne benannte er 1791 auch die Differenz, "daß ein Address-Buch kein Staats-Calender ist, noch seyn kann. Der Zweck des ersten ist eine Anweisung wo man jedem [sic] finden kann, und der des letztern, wo ein jeder in Rang-Ordnung, und den Charakter so er bedient, zu suchen ist."Diskussionen um das Zusammenordnen groß- und kleinbürgerlicher Gewerbetreibender in ein Alphabet veranlassten ihn 1791 zu grundsätzlicheren programmatischen Bemerkungen. Interessant ist daran neben seiner geradlinigen Zurückweisung von Standesdünkel die Aussage gleich zu Beginn, dass es ihm um ein Adressbuch aller Hausbewohner der Stadt gehe, wenngleich seine Beispiele immer noch der geschäftlichen Sphäre entstammten: "Ob es überhaupt nützlich und nöthig sey, alle Einwohner einer Stadt, die ein Haus bewohnen, in ein Address-Buch zu bringen? - Diese Frage ist bey mir längst bejahend entschieden. Aber noch nie habe ichs wagen dürfen, ohne mich ganz sonderbaren Urtheilen auszusetzen, das hier zu liefern, was die Londoner, Copenhagener, Berliner oder Leipziger Herausgebers liefern. Viele nehmen es als eine Beleidigung auf, wenn sie sich mit einem Schuster oder Schneidermeister in Gesellschaft gedruckt finden. Diese sollten aber, wie billig, er-wägen, dass der Schneider, als Schneider, der Kaufmann als Kaufmann, der Doctor als Doctor &c. genannt ist. Wohnt nicht der Gelehrte, der Kaufmann &c. mehr als zu oft zwischen Schneider und Schuster; warum hält er es denn für Schimpf, sie gedruckt zu Nachbarn zu haben, und sind denn diese nicht eben so brave Leute und Mitbürger, wenn sie auch keine tausende zu kommandiren hätten, als die, die sie kommandiren können? [...] Meiner Einsicht nach können grosse und angesehene Leute ohne eine gedruckte Anweisung gefunden werden, aber den Grossen ist, wie mir deucht, daran gelegen den Kleinen finden zu können." Nur so könne der Kaufmann "Geschäfte geschwind bestellen und abmachen [...], ohne gezwungen zu seyn auf den Posthäusern und in der Stadt herum fragen zu lassen." (1791)

Zur Zeit dieser Diskussionen im Aufbruchklima der Französischen Revolution begann dann auch in anderen wichtigen deutschen Handelsstädten wie in etlichen Residenz- und Universitätsstädten die regelmäßige Reihe von allgemeinen Stadtadressbüchern, etwa in Nürnberg, Königsberg, Danzig, Berlin, Bremen, Lübeck, Dresden, Freiburg i.Br. oder Köln. Das Alphabet der Einwohner - eine publizistische symbolische Einebnung der Ständegesellschaft in allgemein-menschlicher, bürgerlicher oder auch demokratischer Absicht? Vergleichende Untersuchungen stehen noch aus.

Ulrich Hagenah

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