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Hamburg, Carl von Ossietzky

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Hamburger Trauermusik für Kaiser Karl VII.

Hamburgs Klage über das höchstschmerzhafte Ableben weiland Ihro Römisch-Kayserlichen Majestät Carls des Siebenden glorwürdigster Gedächtniß in einem Oratorio, welches am Sonntage Reminiscere 1745 in den Kirchen aufgeführet worden.

[Georg Philipp TELEMANN (Musik); Joachim Johann Daniel ZIMMERMANN (Text):] Hamburg: Conrad König, 1745. Quarto. 16 Seiten
Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky, Rara-Sammlung, Signatur: E 977: 1,17, aufrufbar in den Digitalisierten Beständen der SUB

Expo des Monats (März)

Der hier vorgestellte Textdruck zur Trauermusik auf den Tod des am 20. Januar 1745 in München verstorbenen Kaisers Karl VII. entstand für die vom Hamburger Rat angeordneten Trauerfeierlichkeiten in den Vormittagsgottesdiensten aller fünf Hauptkirchen am 14. März 1745. Den Auftrag zur Dichtung und Komposition hatte der Rat am 5. Februar erteilt, gleich nachdem die Todesnachricht am 30. Januar durch die Meldungen der Hamburger Zeitungen in der Hansestadt publik geworden war. Als seit 1618 unmittelbar den Kaisern des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation unterstellte Reichsstadt hatte Hamburg Anteil zu nehmen an den Freuden und Leiden des Kaiserhofes und tat dies in unterschiedlicher Form bei wichtigen Anlässen wie Geburtstagen, Wahlen, Krönungen, Vermählungen und Tod der Kaiser.

Der das aktuelle politische Geschehen miteinbeziehende Text der Trauermusik enthält nicht nur Hinweise auf die für Hamburg wichtige Schutzfunktion des Kaisers1, sondern auch auf die Ängste der Menschen, hineingezogen zu werden in den seit August 1744 zwischen Preußen und Österreich geführten Zweiten Schlesischen Krieg als Teil des Österreichischen Erbfolgekrieges (1740–1748)2. Folglich sind die Bitten um Frieden und baldige Wahl eines Nachfolgers weitere wichtige Aspekte des Textes, neben der selbstverständlichen Klage über den Verlust des Verstorbenen und dessen Glorifizierung.

Bevor der Text gedruckt werden durfte, hatte er den für Zensurbelange zuständigen Ratssyndikus zu passieren. Dieser teilte dem Rat am 26. Februar mit, daß er den Text „nachgesehen“ und dabei „nichts anstössiges darinn angetroffen“ habe. Das Privileg zur Herstellung der Textdrucke für die regulären und auch die vom Rat veranlaßten außerordentlichen Kirchenmusiken besaß der Ratsbuchdrucker – in diesem Fall der von 1723 bis 1757 amtierende Drucker und Verleger Conrad König. Über die Auflagenhöhe solcher Textdrucke, die den Gottesdienstbesuchern zu Preisen zwischen vier und sechs Schillingen angeboten wurden, ist nichts Genaues bekannt. Sie dürfte jedoch bei einigen hundert, für die in allen fünf Hauptkirchen aufgeführten kaiserlichen Trauermusiken vielleicht sogar bei tausend und mehr Exemplaren gelegen haben. Im Fall von Telemanns erfolgreichem Passionsoratorium Das selige Erwägen, einer 1722 entstandenen Auftragskomposition für die Hamburger Werk- und Zuchthauskirche, ließ der amtierende Jahrverwalter Johann Friedrich Natorp im ersten Jahr gleich zweitausend Exemplare drucken, allerdings mit der bekundeten Absicht, diese auch noch bei Aufführungen in den darauffolgenden Jahren abverkaufen zu wollen.

Von den drei kaiserlichen Trauermusiken, die das bewährte Gespann aus dem St.-Katharinen-Pastor Joachim Johann Daniel Zimmermann und Kirchenmusikdirektor Georg Philipp Telemann im Auftrag des Hamburger Rats für Karl VI. (1740), Karl VII. (1745) und Franz I. (1765) geschaffen hatte, ist nur zur zweiten die Musik erhalten geblieben; die beiden anderen können lediglich in Gestalt ihrer Textdrucke rezipiert werden.

Der hier als Exponat des Monats präsentierte Textdruck zur Hamburger Trauermusik für Kaiser Karl VII. steht exemplarisch für die umfangreiche Gattung der sogenannten Gelegenheitsdrucke beziehungsweise des Kasualschrifttums. Diese heute oft nur noch als Einzelstücke oder gar nicht mehr vorhandenen Kleindrucke dokumentieren jeder für sich ein besonderes Ereignis wie Geburt, Hochzeit, Tod, Amtseinführung, Einweihung, Ehrung, Jubiläum, Gedenktag, politische, kirchliche, akademische oder institutionelle Feier und damit ein Stück Zeitgeschichte, mit dem sich zu beschäftigen, spannend und lohnend sein kann. Trotz erheblicher Kriegsverluste in diesem Bestandssegment verwahrt die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg heute noch (oder wieder) eine Vielzahl solcher Gelegenheitsdrucke vom 16. bis zum 20. Jahrhundert.

Parallel zu diesem Exponat des Monats erscheint im Klassiklabel cpo im Rahmen der CD-Reihe Musica sacra Hamburgensis 1600–1800 eine Erstaufnahme der Telemann-Zimmermannschen Trauermusik für Kaiser Karl VII. (Vertrieb jpc).

Jürgen Neubacher

Literatur

  • Rainer Ramcke: Die Beziehungen zwischen Hamburg und Österreich im 18. Jahrhundert. Kaiserlich-reichsstädtisches Verhältnis im Zeichen von Handels- und Finanzinteressen. Hamburg 1969 (= Beiträge zur Geschichte Hamburgs, 3).
  • Jürgen Neubacher: Georg Philipp Telemanns Hamburger Kirchenmusik und ihre Aufführungsbedingungen (1721–1767). Organisationsstukturen, Musiker, Besetzungspraktigen. Hildesheim 2009 (= Magdeburger Telemann-Studien, 20).
  • Dorothea Schröder: Zeitgeschichte auf der Opernbühne. Barockes Musiktheater in Hamburg im Dienst von Politik und Diplomatie (1690–1745). Göttingen 1998 (= Abhandlungen zur Musikgeschichte, 2).
  • Annemarie Clostermann: Der Handel mit Eintrittskarten, Textbüchern und Musikalien. Strategien einer öffentlichkeitswirksamen Verbreitung von Musik in Hamburg zur Zeit Telemanns. In: Beiträge zur Musikgeschichte Hamburgs vom Mittelalter bis in die Neuzeit. Hrsg. von Hans Joachim Marx. Frankfurt am Main 2001 (= Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft, 18), S. 257–266.
ExpodM März 2011 (VIII)
ExpodM März 2011 (VII)
ExpodM März 2011 (VI)
ExpodM März 2011 (V)
ExpodM März 2011 (IV)
ExpodM März 2011 (III)
ExpodM März 2011 (II)
ExpodM März 2011 (I)

Fußnote 1

1„Wie machte nicht sein Kayserlicher Eyd, die Handelschaft, die Frey- und Sicherheit von dir [= Hamburg] und den verwandten Städten, mit sonderbarem Schutz großmächtigst zu vertreten“.

Fußnote 2

2„Es [= das Land] ist vor Angst mit Finsternis umzogen, kein Licht scheint mehr an dem verhüllten Himmel, es brausen über ihm, gleich grossen Wasserwogen, Blut, Trübsal und Getümmel. Dort blinkt das Schwerdt, dort rauchet Asch’ und Graus, dort schreckt ein klägliches Geschrey. Man gehet irre, wie im Dunkeln, und Teutschland fragt, da soviel zwist’ge Waffen in seiner Kinder Händen funkeln, wer Feind, und wer Gehülfe sey?“

 

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