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Hamburg, Carl von Ossietzky

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Bei ihr ging ein und aus, wer als modern galt

Dienstag, den 14.01.2020

Pressespiegel

Ida Dehmel war Kunstfreundin, Salonière und später auch Feindbild der Nationalsozialisten. Eine angemessene Würdigung ihres Werkes steht noch aus. Zeit an sie zu erinnern. Ein Gastbeitrag.

„Gibt es einen herrlicheren Lohn, als vielen Reihen von Menschen eine schöne Vorstellung zu sein?“, notierte Ida Dehmel 1906 in ihr Tagebuch. Sie war die Frau, die der damals in ganz Europa berühmte Dichter Richard Dehmel mit seinen Versen anbetete. Dehmels Bücher trugen Titel wie „Weib und Welt“ oder „Zwei Menschen“. Ida und er waren das Traumpaar der literarischen Jahrhundertwende. Mit der Vertonung von „Verklärte Nacht“ setzte Arnold Schönberg dieser über alle Konventionen erhabenen Liebe ein zeitloses Denkmal. Doch die Erinnerung an Ida Dehmel sollte ausgelöscht werden.

Der Weg ins Zentrum der Kunstwelt war der jungen Ida Coblenz keineswegs vorherbestimmt, als sie 1870 in Bingen am Rhein zur Welt kam. Der Vater, ein erfolgreicher jüdischer Weinhändler, erzog sie mit strenger Hand. Wie Lichtschächte sei die Kunst in ihr Leben hereingebrochen, formulierte die Tochter später. In der bürgerlichen Welt des wohlhabenden Elternhauses in der Provinz verschlang die junge Ida Bücher von Autoren wie Strindberg, Ibsen und Nietzsche, spielte leidenschaftlich Klavier und wurde zur frühen Gefährtin und ersten Liebe eines heranwachsenden Dichters: Stefan George.

Eine Insel der Avantgarde

Auf Wunsch ihres Vaters heiratete Ida 1895 einen Berliner Kaufmann namens Auerbach, seines Zeichens Konsul von Kolumbien. War der Ehe auch kein Glück beschieden, so entfaltete Ida Auerbach in der feudalen Wohnung am Tiergarten ihr Talent als Salonière. Nicht den arrivierten Künstlern, die man in den anderen Salons der Stadt antraf, galt ihr Interesse, sondern den jungen Wilden. Sie suchte die Komponisten neuer Lieder, die Maler neu entdeckter Welten, die Schöpfer eines neuen Sprachstils, präsentierte Namen wie Edvard Munch und Stanisław Przybyszewski. Bald war der Rat der „Tiergartendame“ unter Künstlern geschätzt, ihre Hilfe gefragt. Neuen Kunstwerken zur Entstehung zu verhelfen wurde Idas Lebensthema.

Die schicksalhafte Begegnung mit dem ebenfalls bereits verheirateten Richard Dehmel geriet zur unausweichlichen Liebe. Obwohl noch von ihrem Ehemann schwanger, entschied Ida Auerbach, ihr Leben nun ganz der Kunst zu widmen. Zwei Jahre ging sie mit Dehmel auf Reisen durch Europa, bevor das Paar in London heiratete und in Blankenese ein neues Zuhause fand. Ihre von Peter Behrens und Henry van de Velde inspirierte Wohnung wurde zu einer Insel der Avantgarde in der konservativen Hamburger Umgebung. Ida Dehmel liebte die Inszenierung als Dichtergattin, trug ungewöhnliche Kleider und auffallenden Schmuck. Mancher Hanseat quittierte dies mit verständnislosen Blicken, andere erlagen ihrer Faszination. „Sie saß in einem Sessel neben der Tür und wusste offenbar, wie bildmäßig sie wirkte. Beide stellten in der Wirklichkeit die ‚Zwei Menschen‘ dar, wie man sie sich nach dem ‚Roman in Romanzen‘ vorstellte“, erinnerte sich der Kunstsammler Gustav Schiefler.

„Wir Modernen...“

Ida Dehmels Fixsterne lagen nicht in Hamburg, sie fand sie in Kunstzentren wie Weimar, Wien und Dresden. Die zahlreichen Lesereisen ihres Mannes boten Gelegenheit, unterwegs in örtliche Künstlerkreise einzutauchen, Bekannte zu treffen, neue Kunst zu entdecken. „Wir Modernen...“ – so begann Ida in diesen Jahren viele ihrer Sätze. Auf diese Weise füllte sich auch das heimische Gästebuch mit auswärtigen Namen: Harry Graf Kessler, Max Liebermann, Julie Wolfthorn, Karl Schmidt-Rottluff, Max Klinger, Alma Mahler, Richard Strauss, Max Reger, Gerhart Hauptmann, Max Reinhardt, Julius Meier-Graefe, Emile Verhaeren, Paul Claudel und viele mehr erwiesen den „Zwei Menschen“ ihre Referenz.

1912 bezogen Richard und Ida Dehmel ein im Geiste der Reformarchitektur vom Dichter selbstgestaltetes Haus in Blankenese. Hier ließ Ida große Archivschränke aufstellen, in denen sie die reichhaltigen Korrespondenzen ihres Mannes sammelte. Im Jahr darauf schenkten Freunde und Verehrer Richard Dehmel das zunächst zur Miete bewohnte Haus zum fünfzigsten Geburtstag. Unter diesen Gönnern waren Stefan Zweig und Arthur Schnitzler, Walther Rathenau und Eduard Arnhold, Samuel Fischer und Gustav Kirstein. Ida Dehmel war dieser Höhepunkt des Ruhms ein tiefer Genuss, der erhabenste Feiertag ihres Lebens. Als Richard Dehmel 1920 starb, nannte sie ihr Zuhause „Dehmelhaus“ und widmete sich fortan der Nachlasspflege. Aus dem zuvor privaten Künstlertreffpunkt machte sie eine begehrte Adresse im Hamburger Kulturleben.

Doch Ida Dehmel reichte es nicht, in Kunst zu schwelgen. Verstand und Geschick setzte sie ein, um gesellschaftliche Kräfte zu bündeln und Dinge zu verändern. Sie gründete Vereine, übernahm Vorstandsämter in anderen, wollte lenken und gestalten. Im Hamburger Frauenclub von 1906 löste sie Grenzen zwischen sozialen Schichten auf, ermutigte Frauen zu eigenständigem Handeln und verschaffte ihnen Zugang zur Welt der Kunst. Mit Rosa Schapire führte sie den Frauenbund zur Förderung deutscher bildender Kunst, der landesweit Werke von zeitgenössischen Künstlern wie George Grosz und Oskar Kokoschka in Museen plazierte. Als Schriftführerin der Vereinigung für Frauenstimmrecht engagierte sich Ida Dehmel, bis Millionen deutsche Frauen 1919 zum ersten Mal wählen durften. Während der Erste Weltkrieg tobte, organisierte sie Hilfe für Witwen und Waisen. Ihre wohl folgenreichste Gründung aber war die Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunstförderer, kurz Gedok: Ida Dehmels Idee, Künstlerinnen aller Sparten mit Kunstfreunden unter einem Dach zu vereinen, griff von 1926 an wie ein Lauffeuer um sich. Immer neue Ortsgruppen schossen aus dem Boden. Binnen kurzer Zeit zählte die Gedok siebentausend Mitglieder. Als Vorsitzende des Dachverbandes fand ihre Gründerin auch in der Kulturpolitik Gehör.

Ein Feindbild der Nationalsozialisten

Während der Weimarer Republik respektiert, wurde Ida Dehmel im „Dritten Reich“ schnell zum Feindbild der Nationalsozialisten. Als Jüdin verlor sie sämtliche Ämter und auch die Rolle als Gastgeberin im eigenen Haus. Sie durfte nicht mehr publizieren und musste der Verfemung moderner Kunst und Künstler zusehen. Die nahe gelegene Richard-Dehmel-Schule erhielt einen neuen Namen, sie selbst wurde mehrfach denunziert. Als im Herbst 1941 die ersten Deportationszüge Hamburg verließen, erwirkte Peter Suhrkamp bei der Stadtverwaltung eine Verschonung der Dichterwitwe. Doch vor Einsamkeit, Zweifel und Krankheit konnte er sie nicht beschützen. Auswandern und das Dehmelhaus seinem Schicksal überlassen kam für sie nicht in Betracht.

Vorenthalten hat uns die nationalsozialistische Kulturpolitik Ida Dehmels Erinnerungen aus dreißig Jahren miterlebter Kunst: Sie wollte ihre Erinnerungen an die Geburt der Moderne für die Nachwelt festhalten. Doch dies hat man verhindert, denn es blieb nicht nur beim Publikationsverbot: Die NSDAP zwang Ida Dehmels Sekretärin, die von der mittlerweile älteren Dame wegen eines Augenleidens zum Schreiben gebraucht wurde, die Tätigkeit im Dehmelhaus einzustellen. Ida Dehmels Memoiren blieben ungeschrieben. Wie faszinierend wäre es gewesen, mit ihr den großen Architekten und Designer Peter Behrens in seinem Künstlerhaus auf der Mathildenhöhe zu besuchen. Wie gern wäre man ihrem Blick durch die Ateliers von Max Liebermann und Karl Schmidt-Rottluff gefolgt. Hätte die ersten Modelle für Max Klingers nie vollendetes Wagner-Denkmal betrachtet. In einem unveröffentlichten Manuskript des späteren Nobelpreisträger Thomas Mann geblättert. An üppigen Weimarer Tafeln von Harry Graf Kessler, Henry van de Velde und Ludwig von Hofmann Platz genommen. In Wien Wohnungen von Adolf Loos besichtigt oder mit Gustav Mahler und Gustav Klimt ein Konzert besucht.

Lange hat sie den nationalsozialistischen Anfeindungen und der Einsamkeit die Stirn geboten. Am 29.September 1942 setzte Ida Dehmel ihrem Leben ein Ende. Eine angemessene Würdigung ihres Werkes steht noch aus. Aufgrund seiner kulturgeschichtlichen Bedeutung ist das von ihr aufgebaute Archiv heute einer der am meisten nachgefragten Bestände der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg. Arnold Schönbergs „Verklärte Nacht“ wird noch immer gespielt. Frauen fordern weiter Rechte ein. Die Gedok zählt heute noch 2800 aktive Mitglieder in 23 Städten. Das Dehmelhaus wurde denkmalgerecht restauriert. Ida Dehmels Erbe also lebt.

Carolin Vogel ist Kulturwissenschaftlerin und Projektleiterin der Hermann Reemtsma Stiftung in Hamburg, die die Restaurierung des Dehmelhauses ermöglicht hat. Gerade ist bei Wallstein ihr Buch „Schöne wilde Welt – Richard Dehmel in den Künsten“ erschienen.

Kontakt:

Referat für Öffentlichkeitsarbeit


Dr. Konstantin Ulmer
E-Mail: konstantin.ulmer@sub.uni-hamburg.de
Telefon: +49 40/42838-5918

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