Fundgrube für Heimatforscher
Die Bücher enthalten auch Daten für Orte in SH. Ihr Inhalt ist mehr als nur Adressen. Die Bücher sind ein Schatz.
Hamburg | Wo befand sich Urgroßvaters Weinhandlung? Wo wohnte der Musiker Gustav Mahler oder Lieschen Müller? Seit wann gibt es in Hamburg eine U-Bahn? Wie lange dauerte in der Pionierzeit der Eisenbahn eine Fahrt von der Elbe an die Förde? Die Antworten finden sich in den Hamburger Adressbüchern. Für Wissenschaftler, Journalisten und Ahnenforscher sind sie eine zuverlässige historische Quelle.
Die Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky (Stabi) hat die Adressbücher Hamburgs und angrenzender Gemeinden digitalisiert und ins Internet gestellt – und damit eine Schatztruhe mit einem unerschöpflichen Fundus an ortsbezogenen Informationen geöffnet.
Wer die Bücher früher in Augenschein nehmen wollte, musste sich im Lesesaal der Stabi mit schlechten Kopien auf Mikrofilmen begnügen. „Die Digitalisierung war überfällig“, sagt Projektleiter Ulrich Hagenah, „schon vor 25 Jahren mussten wir die Originale wegschließen, weil die Anfrage zu groß war und sich die Bücher durch die häufige Benutzung in einem sehr schlechten Zustand befanden.“ Jetzt können sich Interessierte bequem vom heimischen Rechner aus auf die Spurensuche begeben.
Rund 980 Bände mit 550.000 Seiten der Hamburgensien, die den Zeitraum von 1698 bis 1977 abdecken, wurden in hoher Auflösung digitalisiert. Verzeichnet wurden in manchen Jahren auch Städte aus dem Umland, darunter Kiel (1829/30), Stade (1832), Itzehoe, Elmshorn, Wilster, Lauenburg, Rendsburg sowie die Elbvororte Wedel und Glückstadt. „Die Adressbücher eignen sich nicht nur dafür herauszufinden, wo jemand wohnt. Aus heutiger Sicht sind sie ein wirtschaftlicher und kultureller Entwicklungsspiegel der Region“, erläutert Prof. Gabriele Beger, Direktorin der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek.
Die Vorläufer der Adressbücher waren noch reine Namensverzeichnisse. Im „Hamburgum litertum“ aus dem Jahr 1698 werden nur die „wichtigsten“ Personen der Stadt aufgeführt. Dazu zählten hauptsächlich Senatoren, Juristen, Theologen, Kaufleute und Mediziner. Die allgemeinen Stadtadressbücher verbreiteten sich erst im 18. Jahrhundert und hatten vor allem eine wirtschaftliche Funktion: „Der Hauptanlass für ihre Entstehung war die Schaffung eines vernünftigen Hamburger Kaufmannsadressbuches“, so Hagenah, „zusätzlich boten die Verzeichnisse Besuchern und Touristen die Möglichkeit, sich schnell in der Stadt zu orientieren.“
Seit den Tagen der Französischen Revolution wurden auch niedere Stände in das Adressbuch aufgenommen. Plötzlich fanden sich angesehene Kaufleute in einer Spalte mit Schlachtern und Bäckern wieder. Die standesbewussten Höker waren darüber nicht amüsiert. Sie beschwerten sich nicht selten bei den Verlegern über solche Unverfrorenheit. Trotz aller Proteste ging die Nivellierung weiter: Seit 1820 wurden auch Arbeiter und Tagelöhner verzeichnet.
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Die Bücher sind eine Fundgrube für die historische Forschung. In den Bänden der Nazizeit, können Interessierte die Bevölkerungsveränderungen nach 1933 studieren und rekonstruieren, welche Hausbesitzer von den Nationalsozialisten verdrängt wurden. Nicht zuletzt lässt sich die Entwicklung der Technik anhand der Adressbücher nachzuvollziehen: Neben der Verbreitung des Telefons wurde die Entwicklung der innerstädtischen Infrastruktur und des Bahnwesens ausführlich dokumentiert – darunter die Verkehrsverbindungen Kiel-Altona und Hamburg-Lübeck. „Hobbyhistoriker können die Entwicklung von Postreitern zur Eisenbahn recherchieren oder welche Schiffe die Elbe ’rauf und ’runter gefahren sind“, sagt Hagenah.