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Hamburg, Carl von Ossietzky

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Der Physiologus aus der Bibliothek des Heinrich Rantzau

Tu Agiu Patros Ēmōn Eriphaniu [!], Episkopu Konstanteias Kypru, Eis Ton Physiologon = Sancti Patris Nostri Epiphanii, Episcopi Constantiæ Cypri, Ad Physiologvm. Tu autu eis ta baia logos = Eiusdem in die festo Palmarum sermo/ D. Consali Ponce de Leon Hispalensis S.D.N. Sixti V. Cubicularij secreti, interpretis scholiastæ, bimestre otium. Antverpiæ, Ex Officina Christophori Plantini, Architypographi Regij, 1588.

Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Sammlung Seltene und Alte Drucke/ Einbandsammlung,
Signatur Teg A/301

Expo des Monats (Oktober)

Kaum ein Text war im Mittelalter so verbreitet wie der des Physiologus, eines allegorisch gedeuteten Tierbuches. Der Ursprungstext wurde im 4. Jahrhundert griechisch abgefasst, nahezu parallel aber auch in lateinischen Übersetzungen überliefert, wobei zahlreiche verschiedene Textredaktionen existieren. Das Buch ist eine Sammlung von teilweise recht phantastisch anmutenden Beschreibungen verschiedener Tiergattungen, versehen mit entsprechenden Interpretationen der in der Beschreibung aufgeführten Merkmale, mit dem Ziel, dem Leser moralisierende christliche Grundsätze näher zu bringen. Die Auswirkungen der Schrift auf die nachfolgende Literatur waren von hoher Intensität und großer Reichweite. Besonders in den lateinischen Übersetzungen bildete sie die Grundlage für die sogenannten Bestiarien, mittelalterliche Tierdichtungen mit Verbindungen zur christlichen Heilslehre. Aus ihr sind weit bekannte Motive entnommen, wie das Einhorn, das nur eine Jungfrau fangen kann, oder der Phönix, der aus der Asche wiederersteht. Vermutlich waren einzelne Motive auch Bildquelle der im 16. Jahrhundert einsetzenden Emblemliteratur.

In der Handschriftensammlung der Staatsbibliothek befindet sich ein Fragment eines ursprünglich vollständigen Physiologus-Manuskriptes (Signatur Cod. in scrinio 47), das vermutlich für den Gebrauch in einer Kloster- oder Domschule um 1300 im norddeutschen Raum entstanden ist. Erhalten sind sechs Blätter mit insgesamt 11 von 37 Kapiteln dieser Redaktion (Carmody: Versionen b und Y).

Exponat des Monats Oktober ist die feine Physiologus-Ausgabe der berühmten Antwerpener Offizin des Christophorus Plantin aus dem Jahr 1588. Es handelt sich um eine zweisprachige, lateinisch-griechische Ausgabe des Spaniers Consalus (Gonzalo) Ponce de Léon (ca. 1530 – 1590), der Kämmerer bei Papst Sixtus V. war, dem wiederum das Werk gewidmet ist. Die Erstausgabe erschien ein Jahr zuvor in Rom. Als Urheber des Werkes wird Epiphanius angegeben. Ponce de Léon nennt drei Handschriften aus italienischen Bibliotheken als Vorlage der Ausgabe. Die Texte werden von Kupferstichen begleitet, deren Entwürfe dem Niederländer Pieter van der Borcht (ca. 1540 – 1608) zuzuschreiben sind, der über viele Jahrzehnte Illustrationen für Plantin geliefert hat.

Expo des Monats (Oktober)

Das Kapitel 4 handelt von den Elefanten, die ganz in der Tradition von Plinius als die größten Lebewesen beschrieben werden, mit den physiologischen Eigenarten eines langen Rüssels und nicht vorhandener Kniee. Das im Bild dargestellte Elefantenpaar ist Sinnbild für den Sündenfall von Adam und Eva. Der Physiologus berichtet, dass der Elefant keinen Geschlechtstrieb hat. Der Elefant gilt in der christlichen Deutung daher auch als Symbol für Keuschheit. Doch der Verzehr eines Liebeskrauts, nämlich der in der Nähe des Paradieses wachsenden Mandragora-Pflanze (Alraune), verführt auch die Elefanten. Hier wird wohl der Moment gezeigt, in dem das Elefantenweibchen dem Männchen die Mandragora mit dem Rüssel reicht. Der in der Physiologus-Tradition gewöhnlich stehende Hinweis auf die Schlange als größte Feindin des Elefanten fehlt.

Expo des Monats (Oktober)

Das vorliegende Exemplar des Physiologus‘, das mit der Jerusalem-Beschreibung des Christiaan van Adrichem (Köln 1588) zusammen gebunden ist, stammt aus der Bibliothek des Heinrich von Rantzau (1526–1598), wie die Wappen von Rantzau und seiner Frau, einer geb. von Holle, und die Einbandprägung „H.R. Stadt“ auf dem Vorderdeckel und „Heinrich Rantzav Stathalter“ auf dem Hinterdeckel des Pergamenteinbandes verraten. Rantzau war von 1556 bis 1598 Statthalter des dänischen Königs für das Herzogtum Schleswig-Holstein. Er galt als norddeutscher Maecenas und förderte Kunst und Kultur in Schleswig-Holstein und Hamburg. Die reiche Rantzauische Bibliothek wurde im Dreißigjährigen Krieg von den Wallensteinischen Truppen geplündert, so dass Stücke daraus sehr selten sind. In der Staatsbibliothek sind sechs Exemplare mit den typischen, rantzauischen Wappenenbänden nachgewiesen.

Später gelangte das Büchlein in den Besitz des Altonaer Gymnasiums Christianeum, von wo aus es nach dem Zweiten Weltkrieg im Zuge des Wiederaufbaus an die Staatsbibliothek überging.

Antje Theise

Literatur

  • Nikolaus Henkel: Studien zum Physiologus im Mittelalter. Tübingen 1976.
  • Friedrich Lauchert: Geschichte des Physiologus. Genf 1974.
  • Dietmar Peil: Zum Problem der Physiologus-Traditionen in der Emblematik. In: Mittellateinisches Jahrbuch 30,1 (1995), S. 61-80.
  • Emblemata Hamburgensia. Kiel 2009, S. 150-156.

Digitalisierte Fassung bei der Bayrischen Staatsbibliothek

Edition des Physiologus:

  • Francis James Carmody: Physiologus latinus. Editions préliminaires versio B. Paris. 1939
  • Ders.: Physiologus latinus, versio y. In: University of California Publications in Classical Philology 12 (1941), S. 95-134.

Zur Hamburger Handschrift:

  • Tilo Brandis: Die Codices in scrinio der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg 1-110. Hamburg 1972, S. 102f.

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